15. Januar 2020
»Ziel ist es die Funktionsvielfalt von Produkten noch weiter zu erhöhen,
weil auch die Anforderungen immer größer werden.«
Linda Weisheit ist seit ihrem Abschluss des Studiums der Werkstoffwissenschaft der TU Dresden im Bereich »Smart Materials« beim Fraunhofer Institut IWU tätig und integriert diese in Systemumgebungen und optimiert das Material selbst für den jeweiligen Einsatz. Im Rahmen unserer Bachelorarbeit sprachen wir mit ihr über ihre Arbeit bei der Fraunhofer Gesellschaft.
Linda Weisheit: Der Hauptunterschied zwischen Smart Materials und Progammable Materials besteht darin, dass bei Smart Materials Eigenschaften ausgenutzt werden, die schon im Grundwerkstoff selbst vorhanden sind, beispielsweise die Phasenummantelung oder die Formgedächtnislegierung. Bei den programmierbaren Materialien geht man noch einen Schritt weiter und programmiert die gewünschte Eigenschaft durch eine innere Struktur. Die Strukturen sind bei mechanischen Metamaterialien eigenschaftsgebend.
Linda Weisheit: Ziel ist es, die Funktionsvielfalt von Produkten noch weiter zu erhöhen, weil auch die Anforderungen immer größer werden. Um die Systeme nicht noch komplexer zu machen, versuchen wir die Funktionen noch weiter in die Materialebene hineinzubringen. Das führt zu Gewichtseinsparung, Bauraumeinsparung oder Komplexitätssenkung. Aber auch der Hintergrund Recycling ist ein ganz wichtiger Aspekt, da man keine Materialverbunde mehr herstellen muss, sondern unter Umständen allein durch die innere Struktur ein und desselben Werkstoffs Eigenschaften erzielt, die man sonst vom Materialverbund bekommt. Das vereinfacht das nachträgliche Recycling. Ziel ist es, das Bauteil aus möglichst wenigen Werkstoffen herstellen zu können. Des Weiteren arbeiten wir an der Individualisierbarkeit von Produkten, sodass man nachträglich eine individuelle Funktionalität programmieren kann. So entsteht zum Beispiel ein individualisierter Innenraum. Ich kann also das Auto auf jeden Fahrer entsprechend umprogrammieren, das heißt die Anordnung der Knöpfe so ändern, damit sie auf dessen Ergonomie angepasst ist. Ebenso kann die Form beispielsweise eines Stuhls oder Bettes auf den Nutzer abgestimmt werden. Die mechanischen Metamaterialien sind nur ein Teil des Fraunhofer Clusters. Wir gehen auch über chemische Programmierbarkeit, zum Beispiel beim programmierbaren Stofftransport. Auch Wärmetransport ist vor allem für Batteriekühlung und Gebäudeklimatisierung ein Thema. Zudem untersuchen wir die Möglichkeit, Reibeigenschaften gezielt zu verändern.
Linda Weisheit: Grundlagenforschung ist wichtig. Wir versuchen bei den mechanischen Materialien systematisch herauszufinden, welche Geometrien Einfluss auf die Einheitszellen haben. Zum Lernen und Erforschen von Einflussfaktoren ist es wichtig, Verschiedenes auszuprobieren, zu simulieren und zu kombinieren. Aber man sollte von Anfang an vom Produkt ausgehen und eine genaues Anforderungsprofil erstellen.
Linda Weisheit: Das ist eine internationale Konferenz. Wir haben Sprecher aus aller Welt von der Forschung bis zur Industrie. Es ist mehr oder weniger der erste Aufschlag in den Grundlagen zwischen Wirtschaft und Forschung. Wir planen auch, Vorträge zu Produktentwicklungen zu präsentieren. Beispielsweise wird auch die Kunsthochschule Weißensee vertreten sein. Es wird noch nicht so richtig um Produkte mit Programmierbaren Materialien gehen können, weil wir einfach noch nicht so weit sind, sondern eher um die Vision: was wäre wenn?
28. Januar 2020
»Mit dieser fachübergreifenden Zusammenarbeit wollen wir
dem klassischem Konkurrenzdenken entgegenwirken.«
Marius Specht ist Mitarbeiter des Fraunhofer Institus IWM und ist durch sein Studium der Materialwissenschaften darauf spezialisiert was ein Material kann und erfüllen muss. Wir sprachen mit ihm über seine Arbeit bei der Fraunhofer Gesellschaft sowie über Zukunftstechnologien.
Marius Specht: Wir arbeiten innerhalb des sogenannten Fraunhofer Cluster of Excellence an Programmierbaren Materialien. Das Cluster besteht aus sechs Kern-Fraunhofer-Instituten, die vor zwei Jahren angefangen haben sich mit dem Thema zu befassen. Mittlerweile sind wir allerdings schon 14 Institute, die innerhalb des Clusters zusammenarbeiten. Mit dieser fachübergreifenden Zusammenarbeit wollen wir dem klassischen Konkurrenzdenken entgegenwirken. In diesem Cluster gibt es etwa 20 Projekte, die gleichzeitig laufen, in denen sowohl Elementarzellen designt und neue Strukturen entwickelt als auch angewandt werden. Da ich nicht an allen Unterprojekten beteiligt bin, ist es schwer zu sagen, wie viele Strukturen schon entwickelt wurden. Schätzungsweise versuchen wir momentan 10 bis 20 Strukturen weiterzuentwickeln oder in mögliche Anwendungsbeispiele zu bringen. Wir stehen hier noch ganz am Anfang. Es gibt zwar auch viele Beispiele in der Literatur, an denen wir uns orientieren, aber wir sind noch nicht so weit, dass wir einen Katalog von 100 Strukturen haben, die wir beliebig kombinieren können.
Marius Specht: Innerhalb dieses Clusters gibt es verschiedene Bereiche, die sich in Materialdesign, Anwendungsermittlung und Fertigung unterteilen. Ich bin in einer der wenigen Gruppen, die sich mit dem Strukturdesign beschäftigen.
Marius Specht: Generell überlegen wir zunächst, welchen Effekt wir erreichen wollen, welche Möglichkeiten es schon gibt und wo man diese nutzen kann. Danach fängt man an zu überlegen, wie man etwas konstruiert und versucht das am Computer umzusetzen. Sobald man soweit ist, wird das Ergebnis in ein Programm importiert, in dem Verformungen simuliert werden können.
Das Programm, das wir hauptsächlich nutzen, nennt sich Abaqus. Das ist ein FEM-Programm. Dazu braucht man ein selbst geschriebenes Script, das eine Doktorandin von uns selbst entwickelt hat, in dem man einzelne Zellen periodisch zusammensetzt. Im CAD wird eine einzelne Zelle rekonstruiert und exportiert. Das Script setzt die einzelnen Zellen periodisch zu einem Bauteil zusammen. Dieses wird wiederum in das Simulationsprogramm importiert, damit man die Teile nicht einzeln einsetzen muss.
Hier benutzen wir hauptsächlich das Material TPU, weil wir den elastischen Anteil prüfen wollen und ob es sich wirklich mechanisch verformen lässt. Allerdings versuchen wir, diesen Mechanismus nicht nur zu nutzen, wenn das Material elastisch ist, sondern arbeiten daran, auch harte und stabile Materialen zu verformen. Dafür könnte man auch andere Materialien wie zum Beispiel PLA testen. Wir haben gelesen, dass Sie derzeit überwiegend mit Polymeren arbeiten.
Ich habe selbst Materialwissenschaften studiert. Inhalt meines Studiums war nicht das Konstruieren und Designen, sodass die interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb des Clusters sehr wichtig ist. Leider haben wir keine Designer am Institut für Werkstoffmechanik, sodass der Austausch mit anderen Projekten von Vorteil ist. Interessant sind auch multistabile Metamaterialien. Multistabil bedeutet, dass die hergestellten Materialien, stabil sind und beim Zusammendrücken noch stabiler werden. Es existieren also zwei „stabile“ Zustände. Es gibt bereits auxetische Strukturen in der Anwendung, wie zum Beispiel Stents in der Medizin. Hier handelt es sich um Einsätze in Venen, die diese aufdrücken, um Verstopfungen zu vermeiden. Diese Stents sind kleine Röhren, die eine auxetische Struktur haben. Ein weiteres Einsatzgebiet sind schusssichere Westen, die eine hohe Dämpfungsfunktion besitzen. Von Programmierbaren Materialen kann man auch bei Sportschuhsohlen sprechen, deren Dämpfung sich individuell an das Gewicht des Sportlers anpasst.
Es ist sehr schwierig, etwas Konkretes über Zukunftstechnologien zu sagen, weil die Entwicklungen sehr vielfältig und unterschiedlich sind, sodass nicht eingeschätzt werden kann, in welche Richtungen sich die Technologie entwickelt.
Um eine geeignete Anwendung für die auxetischen Strukturen zu finden, analysierten wir alle bereits erforschten Eigenschaften. Unser Ziel war es, von der Struktur ausgehend eine Produktidee herzuleiten. Nach fortgeschrittener Recherche wurde klar, dass es mit auxetischen Strukturen, die nur linear - also in zwei Dimensionen - verlaufen, beinahe unmöglich ist, eine Umsetzung zu realisieren. Die meisten Produkte, die sich die Auxetik zunutze machen, werden mit komplizierten 3D Strukturen hergestellt. Die einzelnen Einheiten werden so zusammengefügt, dass ein Material entsteht. Aufgrund der Komplexität dieser 3D-Strukturen, ist es für den Laien fast unmöglich eigenständig festzustellen, ob das auxetische Phänomen greift. Des Weiteren müsste man über wesentlich mehr Zeit sowie spezielles wissenschaftliches Know-how verfügen, um eine solche neue Struktur erstellen zu können.
Es sollte eine physikalische Zugkraft simuliert werden. Diese sollte von Anfang bis Ende in ihrer Intensität abnehmend verlaufen, sodass die Struktur in die Breite gezogen wird, um den auxetische Effekt feststellen zu können. Hierfür mussten wir gewisse Aspekte beachten und im Code einbauen:
Wie weit dürfen die Linien auseinandergezogen werden,
damit die Form erhalten bleibt und nicht auseinanderbricht?
Entsteht eine Elastizität?
Wie sind die einzelnen Knotenpunkte miteinander verbunden?
Wie stark nimmt die Zugkraft von Knotenpunkt zu Knotenpunkt ab?
Was passiert, wenn das Maximum an Dehnung erreicht ist?
Wie berechnet man aus dem Ergebnis die Poissonzahl?
Für jede dieser Fragen wurde der Code angepasst und erweitert, um das gewünschte Ergebnis zu erhalten. Die Ausdehnung und die Berechnung der Zugkraft waren für uns schwierig umzusetzen, da wir wenige Informationen hatten, welche physikalischen Kräfte wirken. Deshalb experimentierten wir zunächst mit einem Würfel anstatt einer Struktur, um die Kräfte besser zu verstehen. Dabei war vor allem der Zusammenhalt der einzelnen Knotenpunkte eine große Herausforderung, da die simulierte Zugkraft immer den gesamten Würfel und dessen Knotenpunkte auseinanderriss. Um das Problem zu lösen, mussten wir für jeden einzelnen Knotenpunkt die Benachbarten definieren und sie so miteinander verbinden, dass sie zusammenblieben. Nun hatte jedoch die simulierte Zugkraft keine Wirkung mehr, da durch die Verbindung aller Punkte keine Bewegung mehr zustande kommen konnte. Deshalb mussten wir eine minimale Elastizität einbauen, damit sich der Würfel wieder etwas verformt. Leider konnten wir die Anwendung aufgrund von Zeitmangel nicht mit Strukturen testen. Des Weiteren wäre die Programmierung des Testprogramms auf zweidimensionale Strukturen ausgelegt gewesen, welche für die Herstellung von auxetischen Materialien meist wenig relevant sind. Für ein in der Realität auch praktisch nutzbares Testprogramm müsste man die Simulation der Zugkräfte und die Berechnung der Poissonzahl auf komplexe dreidimensionale Strukturen anwenden können. Da eine solche Umsetzung entsprechendes wissenschaftliches sowie informatisches Know-how erfordert, war für uns der Versuch, ein Testprogramm für auxetische Strukturen zu erstellen, an diesem Punkt abgeschlossen. Für die weitere Produktentwicklung wurde mit bisherigen Forschungsergebnissen der Fraunhofer-Gesellschaft auf diesem Gebiet weitergearbeitet.
Das Besteck wird nur aus einem Werkstoff produziert, besitzt also keine Knöpfe oder ähnliches, und ist somit auch mühelos und effizient recyclebar.
Die Herstellung mit einem 3D-Drucker ohne Weiteres umsetzbar. Hier könnte das biologisch abbaubare Filament PLA verwendet werden.
» Auxetische Materialien besitzen eine negative Poissonzahl. Die Poissonzahl (auch genannt Querkontraktionszahl) ist bei herkömmlichen Materialien positiv, weswegen zum Beispiel ein Gummiband bei Dehnung in der Mitte dünner wird. Auxetische Materialien hingegen nehmen im Querschnitt zu. Dies bedeutet, dass sich das Verhalten desselben Materials nur aufgrund der Strukturänderung komplett gegenteilig zu herkömmlichen Materialien verhält und sich ausdehnt. „Zu den auxetischen Materialien gehören unter anderem hochverstrecktes Teflon und die Haut von Kuhzitzen. Auxetisches Verhalten ist seit Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt. Eines der ersten künstlich hergestellten auxetischen Materialien, die RFS-Struktur (Rauten-Falt-Struktur), wurde 1978 von dem Berliner Forscher K. Pietsch erfunden. Er verwendete zwar nicht den Begriff Auxetik, beschreibt aber erstmals die zu Grunde liegende Hebelmechanik sowie deren nicht linearen mechanische Reaktion und gilt daher als Erfinder des in der Grafik oben dargestellten Auxetischen Netzes. «
Credit: Shawn Gano
Das auxetische Muster zeigt die auxetische Struktur in der bekannten Sanduhr-Form. Auch hier wurde für den Testdruck das Material PLA verwendet. Bei diesem Modell beträgt die Höhe ungefähr 3 mm. Da das Material ein hartes Plastik ist, ließ sich die Struktur weder ziehen noch verformen. Deswegen suchten wir nach anderen Materialien zum besseren Beobachten des auxetischen Effekts.
Zunächst wurden im Internet verschiedene 3D-Modelle zu auxetischen Strukturen gesucht. Da es schon vorgefertigte Modelle zum Herunterladen gibt, wurden zwei ausgewählt, um das Prinzip der auxetischen Strukturen besser verstehen zu können. Dabei fanden wir heraus, dass vor allem die Größe und Dichte der Struktur ausschlaggebend für die Funktionalität der Testdrucke war. Die gezeigte Struktur (Abb. 1) wurde besonders dünn und groß gedruckt, sodass sie sich durch enorme Flexibilität auszeichnet. Auch der auxetische Effekt der Ausdehnung lässt sich hier durch die Größe des Musters recht gut beobachten. Das hier verwendete Material nennt sich PLA. Dieses Polymer ist biologisch abbaubar, aber wie das nächste Beispiel zeigt, nicht besonders gut geeignet, um den auxetischen Effekt zu nutzen.
Hier wurde das Polymer TPU verwendet. » Es sind Polymere, die bei Raumtemperatur über elastisches Verhalten verfügen und sich dabei wie klassische Elastomere (Gummi) verhalten. Bei der Erwärmung der Polymere ist dann eine plastische Verformung möglich. « Durch seine fast gummiartige Struktur ließ sich hier der auxetische Effekt des Ausdehnens sehr gut erkennen.